Das Schicksal schlägt ganz unterschiedlich zu: Ob beim Autounfall, beim Brand, aufgrund eines Verbrechens oder einer Krankheit - einige Eltern sterben gleichzeitig, andere kurz nacheinander. In solchen Fällen stehen die Kinder plötzlich alleine da.
Klappt alles, bleibt das nicht lange so. «Sobald der Tod der Eltern registriert wird, schaltet sich in der Regel das Jugendamt ein», erklärt Piotr Malachowski vom Bundesjustizministerium (BMJV). Und zwar mit einer Soforthilfe. Denn ein Kind darf in Deutschland nicht alleine in einer Wohnung bleiben. Hier sprechen die Experten von einer Kindeswohlgefährdung. Also werden Verwandte aufgesucht, bei denen die Waisen für den Übergang erst einmal leben können.
Allerdings gibt es immer wieder Fälle, wo dies nicht möglich ist. Das Jugendamt hat dafür meist Einrichtungen, die rund um die Uhr helfen. «Die Kindernotaufnahme oder die Jugendschutzstellen springen dann ein», erklärt Dieter Verst, Leiter des Jugendamtes Wuppertal. «Für Babys gibt es die Bereitschaftspflege.» Dabei handelt es sich nicht um eine Dauerlösung.
Vormundschaft rechtzeitig regeln
Das Gesetz unterscheidet in Deutschland zwischen Minderjährigkeit und Volljährigkeit. Viele Rechte kann ein Kind oder Jugendlicher vor dem achtzehnten Lebensjahr nicht ausüben. Ob Waise oder nicht, hier macht das Gesetz für Minderjährige keine Ausnahmen. «Das zeigt, wie wichtig eine geregelte Vormundschaft ist», sagt Kirsten Michaelsen, Anwältin für Familienrecht.
Diese Vormundschaft wird vom Familiengericht ermittelt. Liegt eine Sorgerechtsverfügung der Eltern vor, die einen Vormund bestimmt, ist die Person meistens eindeutig. Dies können die Eltern etwa in einem Testament bestimmen. In allen anderen Fällen muss die Gesamtsituation geprüft werden. «Laut Bürgerlichem Gesetzbuch wird der Vormund unter anderem aufgrund der persönlichen Bindung, der Vermögenslage und der Religion bestimmt», sagt Malachowski vom BMJV.
Wer kann Vormund werden?
Was sich theoretisch anhört, wird in der Praxis mit Befragungen der Waisen, der Familie und Bekannten bestimmt. Im Notfall muss das Gericht auch Gutachten anfertigen. Wichtige Fragen hierbei: Wie ist das Umfeld des Kindes? Wer steht ihm nah? Wo ist der Waise gut aufgehoben? Und wie alt ist das Kind?
Ein allgemeiner Irrglauben ist, dass automatisch die Taufpaten eine Vormundschaft übernehmen. «Eine Vormundschaft geht nicht automatisch über», sagt Michaelsen, «oft weiß das Familiengericht nichts von einer Patenschaft, wenn keine Taufurkunde vorliegt.» Auch andere Familienmitglieder werden nicht ohne weiteres als Vormund eingesetzt. Besonders Großeltern haben es vor Gericht schwer, weiß die Anwältin: «Diese sind oft zu alt.»
Und wenn es gar keinen gibt, der den Waisen aufnehmen kann? Heißt das im Umkehrschluss, das neue Zuhause wird das Heim sein? «Ein Kind darf in Deutschland nicht ohne Vormund leben. Die Vormundschaft würde dann das Jugendamt übernehmen», sagt Verst vom Jugendamt Wuppertal. Bis zu 50 Kinder darf ein Vormund rechtlich betreuen. Dies heißt nicht, dass die Kinder auch bei ihm leben. «Das Leben unter einem Dach und die Vormundschaft fallen in der Realität oft auseinander. Doch auch der Amtsvormund muss Kontakt zu dem Waisen halten», sagt Michaelsen. In solchen Fällen würden die Waisen in Wohngruppen, Heimen, in Internaten oder Pflegefamilien untergebracht. Eine Adoption kommt meistens nur bei sehr jungen Kindern in Frage.
Selbstbestimmung und Wünsche
Es scheint so, als würden nur Behörden, Gerichte und Anwälte über das weitere Leben des Waisen entscheiden. Aber auch die Kinder haben ein Mitspracherecht. Sie werden in einem geschützten Raum von dem Familiengericht angehört. Der Wunsch des Kindes wird dann bei der Suche nach dem Vormund beachtet. Zwar spielt bei den Aussagen oft das Alter eine Rolle, aber bei Minderjährigen gibt es Grenzen bei der Selbstbestimmung. «Auch ein 17-Jähriger darf nicht einfach alleine über seinen Vormund entscheiden», sagt Malachowski vom BMJV.
Allerdings dürfen Jugendliche ab 14 Jahren die vorgeschlagene Person ablehnen. Auch im Laufe der Zeit kann der Vormund vom Familiengericht geändert werden - immer dann, wenn ein fahrlässiges Verhalten vorliegt. Hier hat das Wohl des Kindes Vorrang.
Der Waise kann sich während des Verfahrens von einem Verfahrensbeistand begleiten lassen. Dieser hilft, Abläufe zu erklären und Einfluss bei der Suche nach einem Vormund zu nehmen. Das können Anwälte, Sozialpädagogen, aber auch Sozialarbeiter sein. Zudem dauern die Verfahren um die Vormundschaft nicht lange. Hier gilt der sogenannte Beschleunigungsgrundsatz. Der Grund: Ohne einen Vormund sind Minderjährige bei den meisten Geschäften und Entscheidungen rechtlich nicht handlungsfähig.
Und was passiert dann mit der Wohnung der Eltern? In einigen Fällen dürfen die Kinder sogar in der Wohnung bleiben. Dies ist allerdings die Ausnahme. «Ab 16 Jahren kann man eventuell darüber nachdenken, ob die Kinder darin alleine wohnen können. Natürlich nur, wenn es der Vormund erlaubt», sagt Malachowski. (dpa/tmn)