Netti Duden aus Berlin ist bereits großflächig tätowiert. Vor einigen Jahren kam noch ein winziges, nur etwa einen Zentimeter großes Bildchen auf einem Finger hinzu: Ein Katzenkopf in Erinnerung an den gestorbenen Kater Johnny. «Ich habe ihn geliebt», sagt die Shop-Managerin des Tattoo-Studios «Blut & Eisen» in Prenzlauer Berg.
Ob verstorbenes Haustier oder toter Angehöriger - viele Menschen drücken ihre Trauer heute mit Tattoos aus. «Weil die Zahl der Tätowierten in den vergangenen Jahren so stark angestiegen ist, gibt es auch mehr Trauer-Tattoos», sagt Mark Benecke, der Vorsitzende des Vereins Pro Tattoo. «Tattoos als Zeichen der Trauer - das gab es schon immer, nur die Motive haben sich geändert», so Benecke, der vor allem als Kriminalbiologe bekannt ist.
Bodo Fritsche vom Verein «Leben ohne Dich» aus Mülheim an der Ruhr, sagt, man könne in manche Trauergruppe gleich einen Tätowierer mitnehmen. «Vor 15 Jahren war das überhaupt kein Thema, inzwischen trägt der Großteil der Elterngruppe ein Tattoo», sagt Fritsche, der 18 Jahre lang eine Trauergruppe für Eltern leitete, bei denen ein Kind gestorben ist.
Während vor einigen Jahrzehnten noch symbolisch Herzen mit Flatterband im Trend gewesen seien, ließen sich Trauernde heutzutage eher Namen, Gesichter und Daten tätowieren, sagt Benecke, der für seinen Verein auch Vorträge zur Tattoo-Geschichte hält. «Interessant ist, dass sich kaum jemand eine Kerze tätowieren lässt», so Benecke.
Die Motive seien ganz unterschiedlich, berichtet Netti Duden, die für alle Kunden Termine mit den Tätowierern des Geschäfts vereinbart. Immer wieder hat sie mit Menschen zu tun, die sich Bilder, Worte und Daten stechen lassen. «Erst vor kurzem hat sich ein Mann die Initialen seiner Schwester tätowieren lassen, die Keramikerin war und mit den Buchstaben immer ihre Arbeiten signierte», erzählt sie.
Die Künstlerin Stefanie Oeft-Geffarth aus Halle und die Journalistin und Trauerbegleiterin Katrin Hartig haben das Phänomen genauer unter die Lupe genommen und die Wanderausstellung «Trauertattoo» konzipiert, die bereits seit etwa drei Jahren bundesweit gezeigt wird. Auch ein gleichnamiges Buch mit Bildern und Geschichten von Tätowierten haben sie veröffentlicht.
Das Phänomen sei in allen Altersgruppen und Schichten zu beobachten. «Das lässt sich nicht kategorisieren», sagt Oeft-Geffarth. «Das Tätowieren der eigenen Haut ist natürlich eine Möglichkeit, sich zu artikulieren. Und das Thema Trauer dringt immer stärker in das gesellschaftliche Bewusstsein ein», so die Künstlerin.
«Es ist interessant, dass sich auch Leute in der Trauer tätowieren lassen, die vorher gar nichts mit Tattoos zu tun hatten, bis zur expliziten Abneigung oder Ablehnung», sagt sie. «Wenn man etwas Existenzielles erlebt hat, traut man sich einfach mehr», ergänzt Mark Benecke. Mögliche Bedenken darüber, ob ein Tattoo sozial angemessen sei, träten in solchen Situationen oft in den Hintergrund.
In Ausstellung und Buch kommen einige Trauernde zu Wort. Zum Beispiel Anne Schwieger. Vor sieben Jahren nahm sich ihr Bruder das Leben, mit gerade einmal 30 Jahren. Die Erinnerung an ihn trägt sie jetzt immer bei sich, als Namens-Tattoo mit Kleeblatt am Handgelenk. «Eigentlich bin ich überhaupt kein Tattoo-Typ», sagt die Gelsenkirchenerin. Doch ein Tattoo als Zeichen der Trauer, das habe sich damals, etwa ein Dreivierteljahr nach seinem Tod, richtig angefühlt. Und in ihrer Trauergruppe für erwachsene Geschwister in Mülheim/Ruhr beobachte sie auch entsprechende Tattoos.
Oder auch Stefanie Noster, die ein Abbild eines Medaillons ihrer Oma auf dem linken Schulterblatt trägt, geziert von einer kleinen Schriftrolle. «Wir haben uns sehr, sehr gut verstanden. Sie hatte eine ganz liebevolle Art an sich», berichtet die Enkelin. «Sie starb ganz plötzlich. Es war schrecklich.»
«Dinge, die in unserer Kultur früher üblich waren, wie schwarze Trauerkleidung, sind von Tattoos abgelöst worden», sagt Norbert Mucksch vom Bundesverband Trauerbegleitung. Tattoos können seinen Worten zufolge in der Trauer helfen und signalisieren: Ich trauere um einen Menschen und möchte das nicht nur zeigen, sondern möglicherweise auch körperlich spüren, durch den Schmerz beim Stechen des Tattoos.
«Mir hat das Tattoo vor allem in der Anfangszeit beim Trauern geholfen, weil mein Bruder dadurch etwas präsenter war und ein bisschen greifbarer», sagt Anne Schwieger. «Inzwischen hilft das Tattoo nicht mehr, es ist einfach da», so Schwieger.
Für viele Menschen seien die oft gut sichtbaren Bilder und Symbole auch eine Aufforderung an andere Menschen, das Thema anzusprechen, um aus der Sprachlosigkeit zu kommen, sagt der Theologe und Sozialarbeiter Mucksch. Auf die im Buch vorgestellte Lehrerin trifft das zu. Sie sagt: «Wenn ich darüber spreche, ist es immer wie eine Art Befreiung.» (dpa)