Zeit ist wichtig: Wie man sich von Sachen Verstorbener trennt

Ricarda Dieckmann

Zeit ist wichtig: Wie man sich von Sachen Verstorbener trennt - © Christin Klose (dpa-tmn)
Zeit ist wichtig: Wie man sich von Sachen Verstorbener trennt (© Christin Klose (dpa-tmn))

Der geliebte Mensch ist nicht mehr da, die Kleidung und der Lieblingssessel hingegen schon. Den Besitz von Eltern, Partner oder Geschwistern aufzulösen, ist für viele Angehörige eine große Aufgabe - organisatorisch, aber vor allem emotional.

«Das liegt daran, dass die Gegenstände eine Verbindung zur verstorbenen Person schaffen», sagt Christine Kempkes, die als Bestatterin, Trauerbegleiterin und Trauerrednerin arbeitet. «Die bisherigen Kontaktmöglichkeiten bestehen nach dem Tod nicht mehr - der Schlafanzug, der nach dem geliebten Menschen riecht, ist aber noch da.»

Mit dem Aussortieren der Sachen kommt für viele Trauernde die schmerzhafte Erkenntnis: Dieser Mensch wird sich nie wieder in diesen Sessel sinken lassen oder in diesen Pullover schlüpfen. Er wird nicht zurückkehren.

Richtigen Zeitpunkt zum Aussortieren gibt es nicht

«Wie lange es dauert, bis Trauernde mit dem Sortieren der Sachen beginnen, ist ganz individuell», beobachtet die Bestatterin und Trauerbegleiterin Silke Szymura. «Es gibt keinen "richtigen" Zeitpunkt, der für alle Trauernden gleichermaßen gilt.»

Einige Hinterbliebene wollen die Dinge lieber heute als morgen aus dem Blickfeld schaffen. Andere brauchen Monate oder Jahre, um sich behutsam an die Aufgabe heranzutasten. «Wichtig ist, sich keinen Druck machen zu lassen - auch nicht von außen, von Sätzen wie "Nun fang‘ doch wenigstens mal mit dem Schrank an"», sagt der Trauertherapeut und Trauerredner Tobias F. Mende.

Statt auf das Umfeld zu hören, dürfen sich Trauernde erlauben, ihren eigenen Empfindungen zu folgen. «Man darf darauf vertrauen, dass der richtige Zeitpunkt kommt», sagt Szymura. Auch wenn es unvorstellbar scheint: Nach einer gewissen Zeit wird aus einem «Das kann ich nicht» ein zaghaftes «Ich bin bereit für den ersten Schritt».

Foto von den Räumen im Original kann helfen

Manchmal funkt jedoch Zeitdruck dazwischen. Wenn etwa das Elternhaus aufgelöst werden muss, weil das Geld für weitere Monatsmieten fehlt, muss es schnell gehen. «In diesem Fall ist es eine gute Idee, die Räume in ihrem Originalzustand zu fotografieren - und dabei auch Detailaufnahmen von Ecken oder Gegenständen machen, die dem Verstorbenen besonders wichtig waren», sagt Kempkes.

Daraus lässt sich ein Fotobuch zusammenstellen. So haben Trauernde auch später noch die Möglichkeit, einen «Rundgang» durch die Räume des Verstorbenen zu machen. Das kann heilsam sein, wenn beim Ausräumen die Zeit zum Innehalten knapp war.

Auch unter Zeitdruck dürfen Trauernde eines nicht vergessen: «Es gibt Gestaltungsspielraum», sagt Szymura. Wer mag, kann Musik, die an den Verstorbenen erinnert, aufdrehen oder seine Lieblingssüßigkeit parat halten. Kleine Rituale, die ganz individuell ausfallen können, geben Halt.

Freunde als kritisches Auge dazuholen

Sinnvoll ist auch, eine gute Freundin oder einen guten Freund ins Boot zu holen - nicht nur für den emotionalen Beistand, sondern auch für einen neutralen Blick auf die Frage «Soll dieser Gegenstand bleiben - oder darf der weg?».

Gegen die Überforderung hilft es, das Ausmisten in kleine Schritte zu zerlegen. «Dabei beginnt man zunächst mit Zimmern oder Gegenständen, die einem leichter vorkommen - und arbeitet sich dann zu dem vor, was emotional heikler ist», erklärt Mende. «Gut ist es, die Dinge nicht einfach nur kopflos wegzuwerfen oder wegzuschenken, sondern sie noch einmal bewusst in die Hand zu nehmen - und sich zu fragen: Will ich das behalten - oder weggeben?»

Lautet die Entscheidung «Das soll weg», kann es wohltuend sein, die Dinge nicht einfach nur in den Wertstoff- oder Altkleidercontainer zu werfen, sondern ihnen einen weiteren Sinn zu geben - etwa, indem man sie an Kleiderkammern oder Sozialkaufhäuser spendet. «Auch eine schöne Idee ist es, Freunde des Verstorbenen einzuladen, damit sie sich Dinge aussuchen können, die sie gerne haben möchten», sagt Kempkes.

Erinnerungen in Kisten archivieren

Viele Menschen haben Angst, dass sie mit dem Nachlass auch die Erinnerungen weggeben. «Vielen Trauernden - gerade Kindern - tut es gut, eine Erinnerungskiste anzulegen», sagt Mende. Vorteil: Wenn es sich nicht gut anfühlt, sie im Blickfeld zu haben, kann man sie im Schrank weit nach hinten schieben. Es gibt zudem kreative Formen, Erinnerungen zu erhalten. «Mittlerweile ist es sogar möglich, Chatverläufe als Buch aufbereiten zu lassen», sagt Kempkes.

Traurigkeit, Angst, Wut, Dankbarkeit: Beim Aufräumen der Sachen zieht nicht selten ein emotionales Chaos auf. Ist es nicht Verrat an der Partnerin, ihr geliebtes Bücherregal aufzulösen? Warum hat der Bruder so viel Müll angehäuft? «Gefühle wollen gefühlt werden,» sagt Szymura dazu. Sie rät, während des Aufräumens liebevoll mit sich selbst umzugehen und die eigenen Empfindungen nicht zu verurteilen.

Besser ist es, mit sich selbst zu sprechen, wie man auch mit einer guten Freundin sprechen würde. Man müsse in dieser Situation nicht von sich selbst verlangen, stark zu sein. Übrigens gibt es eine Sache, die den Hinterbliebenen das Aussortieren der Sachen erleichtern kann: bereits vor dem Tod über Wünsche zu sprechen.

«Das hat den Vorteil, dass nach dem Tod für die Angehörigen das Gefühl der Ohnmacht wegfällt, was diese Aufgabe angeht», sagt Mende. Auch die Befürchtung, Verrat an den Liebsten zu begehen, wenn man ihre Sachen entsorgt, fällt weg, da man die Wünsche kennt. «Es erfordert viel Mut, so ein Gespräch zu führen - nach dem Tod kann es aber ein riesiges Geschenk sein», so Mende.

szmtag