Das Ziel ist klar: Angesichts Tausender todkranker Menschen auf den Wartelisten sollen in Deutschland dauerhaft mehr Organe gespendet werden. Doch wie soll das gelingen? Der Bundestag beschloss am Donnerstag eine Reform, die auf mehr Impulse setzt, damit sich mehr mögliche Spender auch konkret entscheiden.
Was soll sich konkret ändern?
Umgesetzt werden soll ein Vorstoß, den eine Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping erarbeitet hat. Der etwas komplizierte Name ist Programm: Ziel ist die «Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende». Dafür sollen mehr regelmäßige Denkanstöße organisiert werden - und leichtere Möglichkeiten, eine Entscheidung zu dokumentieren. Wer ab 16 Jahren einen Personalausweis beantragt, ihn nach zehn Jahren verlängert oder sich einen Pass besorgt, soll im Amt Info-Material bekommen. Beim Abholen soll man sich dann schon direkt vor Ort, aber auch jederzeit später zu Hause in ein neues Online-Register eintragen können - mit Ja oder Nein, Änderungen bleiben immer möglich. Auch in Ausländerbehörden soll es ein solches Angebot geben.
Was ist ergänzend geplant?
Selbst beraten sollen die Mitarbeiter der Ämter nicht. Dafür sollen Hausärzte eine größere Rolle spielen, zu denen viele besonderes Vertrauen haben. Sie sollen Patienten bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren und zum Eintragen ins Register ermuntern - aber ergebnisoffen und mit dem Hinweis, dass es weiter keine Pflicht zu einer Erklärung gibt. Grundwissen über Organspenden soll auch Teil der Erste-Hilfe-Kurse vor einer Führerscheinprüfung werden, um vor allem junge Leute zu erreichen. Auch bei der Ärzteausbildung soll die Thematik größeres Gewicht bekommen und Prüfungsstoff werden.
Wie rasch greifen die Neuregelungen?
Die Umsetzung braucht noch Zeit. Vor allem, um das zentrale Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aufzubauen. In Kraft treten sollen die Neuregelungen daher zwei Jahre nach Verkündung des Gesetzes - bei Veröffentlichung in diesem Jahr also 2022. Im Register soll dann jeder ab 16 Jahren Erklärungen zur persönlichen Entscheidung zu Organspenden abgeben, ändern oder widerrufen können. Ein Widerspruch ist schon ab 14 möglich. Abrufen können die Angaben dann nur der Betroffene selbst sowie rund um die Uhr benannte Ärzte, die aber nicht an der Organspende beteiligt sind. Wer die Angaben nicht per Internet machen kann oder möchte, kann auch weiter einen Organspendeausweis oder eine Patientenverfügung nutzen.
Was ist überhaupt das Problem mit der Spendebereitschaft?
Mehr als 9000 Menschen in Deutschland warten auf Organe. Für sie geht es um Leben und Tod. Und jeder kann ja in diese Situation kommen. Doch nur 40 Prozent haben laut einer Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse einen Spendeausweis, auf dem man Ja oder Nein ankreuzen kann. Dabei haben 84 Prozent generell eine positive Einstellung dazu. Obwohl die Kassen regelmäßig Vordrucke durch die Republik schicken, schieben viele eine Festlegung immer wieder vor sich her. Und ohne ausdrücklich erklärtes Ja dürfen keine Organe entnommen werden.
Was können Vorbehalte sein?
Für Organspenden muss der Tod zweifelsfrei sein: Dafür müssen zwei Fachärzte unabhängig voneinander den vollständigen und unumkehrbaren Ausfall des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigen. Manche machen sich Sorgen, dass der Tod zu früh festgestellt werden könnte. Auch Organspendeskandale 2012 verunsicherten viele Leute. Es ging um Manipulationen bei Wartezeiten für Transplantationen. Und generell verhindert eine Spende, dass Angehörige im letzten Moment dabei sein können. Hirntote sind noch warm, das Herz schlägt.
Wie haben sich die Zahlen entwickelt?
Alarmiert hat Ärzte und Politik der Tiefstand von 797 Spendern im Jahr 2017. Womöglich auch angesichts der anziehenden Debatte gingen die Zahlen dann aber herauf - im vergangenen Jahr überließen 955 Menschen nach dem Tod Organe für andere Patienten, etwas weniger als 2018. Jedoch waren es 2012 noch 1200 gewesen. Jeder Spender schenkte zuletzt im Schnitt mehr als drei Schwerkranken neue Lebenschancen.
Was wird noch für mehr Organspenden getan?
Die bundesweit rund 1300 Kliniken, die Organe entnehmen, sollen mehr Geld und Zeit dafür bekommen. Eine Gesetzesänderung dafür ist aber erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Eigens für Transplantationen beauftragte Mitarbeiter sollen nun mehr Freiräume haben. Kliniken werden für den Prozess von Organspenden besser vergütet. Ein neuer Bereitschaftsdienst mit mobilen Ärzteteams soll gewährleisten, dass die Voraussetzungen des Hirntods überall festgestellt werden können.
Wie ist die Organspende in anderen Ländern geregelt?
Befürworter der im Bundestag gescheiterten Widerspruchslösung verweisen etwa auf Spanien, das auf viel höhere Spenderzahlen kommt. Dort werden aber auch Spenden nach Herztod einbezogen, wie die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt. In Frankreich, Belgien, Österreich, Tschechien und Polen gilt ebenfalls die Widerspruchslösung. In Norwegen werden in der Praxis Angehörige vor einer Entnahme gefragt, ob sich der Verstorbene dagegen ausgesprochen hat. In Schweden muss der Verstorbene in der Regel vor dem Tod zugestimmt haben. Sonst werden Angehörige gefragt.